
1.9. Führungsstile [1]
Nach der Darstellung des Forschungsstandes der Führungstheorien werden einige Führungsstile erläutert, die insgesamt einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Führungsstillehre hatten. Die Führungsstilforschung gilt heute aber als ebenso überholt wie die Erforschung der Persönlichkeitsmerkmale im Zusammenhang mit Führungserfolg. Als Elemente für das Grundverständnis von Leadership sind die Führungsstile und die Bedeutung von Persönlichkeitsmerkmalen dennoch unerlässlich, vor allem, weil sie nach wie vor in der Literatur verwendet werden.
Die Untersuchungen des Autors haben ergeben, dass sich bei den einzelnen Archetypen der Führung (siehe Seite 120) unterschiedliche Führungsstile feststellen lassen, die je nach Phase des Unternehmenslebenszyklus präferiert werden. Die unterschiedlichen Führungsstile geben aber auch Auskunft über die dahinterstehenden Archetypen mit der entsprechenden Zuschreibung.
1.9.1. Traditionelle Führungsstile sind aus heutiger Sicht
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der patriarchalische,
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der charismatische,
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der autokratische oder autoritäre und
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der bürokratische Führungsstil
nach Weber
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der autoritäre oder hierarchische,
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der demokratische oder kooperative und
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der Laissez-faire-Führungsstil
nach Lewin.
1.9.2. Vor- und Nachteile verschiedener Führungsstile
Sims et al. haben Untersuchungen durchgeführt, in denen sie fünf situative Führungstypologien verglichen. Die Anwendung der einzelnen Führungsstile wird anhand von kurzen praktischen Beispielen wie folgt beschrieben:
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Aversive Führung[2]
„Ihr Ziel ist es, die Arbeitsgewohnheiten eines schwierigen Mitarbeiters zu verbessern. Sie haben bereits unterschiedliche Führungsstile eingesetzt, von der Unterstützung mit klaren Richtlinien (directive) bis zu Belohnungen für bessere Leistung (transactional).
Sie haben den aversiven Führungsstil bis jetzt nicht eingesetzt, weil dieser Nachteile mit sich bringt, wie z. B. geringe Flexibilität, starke Unzufriedenheit, hohe Fluktuation, Rebellion und niedrige Innovationskraft unter den Mitarbeitern.[3] Doch in der aktuellen Situation haben Sie das Gefühl, dass es wichtig wäre, die Aufmerksamkeit des schwierigen Mitarbeiters bzw der schwierigen Mitarbeiterin rasch zu gewinnen und die Ziele, die der schwierige Mitarbeiter bzw. die schwierige Mitarbeiterin erreichen muss, einzufordern. Sie haben beschlossen, einen aversiven Ansatz zu verfolgen und müssen nun ihr Verhalten diesem Führungsstil anpassen. Sie vereinbaren mit dem Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin ein eigenes Treffen unter vier Augen, um ihm bzw. ihr in klaren Worten mitzuteilen, dass er oder sie gefeuert wird, wenn es keine Verbesserung gibt. Sie werden bei diesem Treffen ernst, streng und fast schroff sein. Sie sorgen dafür, dass der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin weiß, dass dies die letzte Chance ist, und dass Sie den Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin entlassen, wenn er oder sie sich nicht ändert.“ [4]
Die Einflussnahme durch Strafandrohung bzw. die Erzeugung von Angst und Furcht führt bei der aversiven Führung zu negativen Konsequenzen in Bezug auf die Aufgabenleistung, während sich die weiteren vier Führungstechniken positiv auf die Leistung der Mitarbeiter auswirken. [5]
Die aversive Führung wurde z. B. von Steve Jobs [6] sehr häufig angewendet, was im Kapitel Reality Distortion Field von Isaacson [7] ausführlich beschrieben wird. Sein Freund Wozniak wird darin wie folgt zitiert: „Steve hätte sein Projekt auch durchziehen können, ohne Angst und Schrecken zu verbreiten.“ Und Isaacson weiter: „Außerdem ging der Erfolg auf Kosten vieler verletzter Gefühle, die zu einer hohen Quote an Burn-out-Fällen im Team führten.“ … „Jobs Führungsstil hatte allerdings auch eine positive Seite. Die Apple-Angestellten bekamen die Leidenschaft für die Erschaffung bahnbrechender Produkte und den Glauben an die Machbarkeit des Unmöglichen vermittelt. Aus Furcht vor Jobs und in dem Wunsch, ihn zu beeindrucken, übertrafen sie ihre eigenen Erwartungen.“ Und weiter mit Jobs selbst: „Ich habe mit der Zeit gelernt, dass man richtig gute Mitarbeiter nicht verhätscheln muss. Wenn man Großes von ihnen erwartet, leisten sie auch Großes.“
Eine Abwägung zwischen dem enormen wirtschaftlichen Erfolg von Steve Jobs und der häufig angewandten aversiven Führung kann und soll hier nicht vorgenommen werden. Sein Ziel „eine Delle im Universum“ [8] zu hinterlassen, ist ihm jedenfalls nach Ansicht des Autors gelungen.
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Direktive Führung
„Ihr Catering-Unternehmen hat gerade seinen größten Auftrag bekommen: ein großes Bankett für die Teilnehmer*innen einer Fundraising-Auktion. Sie zögern zunächst, den Vertrag anzunehmen, da ihnen die Organisation sehr kurzfristig Bescheid gegeben hat und ihr bester Koch auf Urlaub ist. Sie wissen jedoch, dass ein erfolgreich ausgeführter Auftrag ihrem Unternehmen ausgezeichnete Mund-zu-Mund-Propaganda bringen wird.
Sie halten sich im Allgemeinen für eine ermächtigende Führungskraft (empowering leader), aber in dieser Situation vermuten Sie, dass ein direktiver Ansatz erforderlich ist.
Ein direktiver Ansatz ist gefordert, wenn die Ziele klar sind, wenn die Führungskraft wesentlich mehr Erfahrung als der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin hat und wenn kurzfristige Ziele und die Abwicklung des Geschäftes wichtiger sind als der berufliche Werdegang der Mitarbeiter*innen. Ähnlich wie beim aversiven Stil gehören die geringe Flexibilität und die niedrige Innovationskraft zu den Nachteilen der direktiven Führung. [9] Sie entscheiden sich, vorübergehend einen Koch für diesen Anlass aufzunehmen. Die Person ist ausgezeichnet qualifiziert, aber nicht an einer Vollzeitbeschäftigung in Ihrem Unternehmen interessiert. Sie machen das Geschäft und geben dem temporären Koch sehr spezifische Anweisungen. Sie machen deutlich, was getan werden muss, und planen, am Tag der Veranstaltung selbst dabei zu sein.“ [10]
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Transaktionale Führung
„Sie sind Manager*in einer Großhandelsverkaufseinheit, die ein Dutzend Vertriebsmitarbeiter beschäftigt. Das Topmanagement hat gerade das Umsatzziel für dieses Quartal bekanntgegeben. Sie entscheiden, dass ein transaktionaler Führungsstil möglicherweise der beste Weg für ihr Team ist, um das Umsatzziel zu erreichen.
Ein transaktionaler Führungsstil kann gewählt werden, wenn die Führungskraft die Aufsicht hat, der Umsatz gering ist und die Mitarbeiter*innen Belohnungen erwarten. Zu den Nachteilen dieses Führungsstils zählen niedriger Innovationsgrad und Emotion, sowie in der Regel nur moderate Motivation, da sie von Belohnungen abhängig ist. [11] Mit Zustimmung der Lohnbuchhaltung in der Human-Resources-Abteilung richten Sie ein Incentive-Programm ein, wobei jeder Verkäufer bzw. jede Verkäuferin die Möglichkeit hat, eine Reise nach Bermuda zu gewinnen, wenn er bzw. sie die Umsatzziele erreicht.“ [12]
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Transformationale Führung
„Sie wurden zum Manager bzw. zur Managerin einer Abteilung für Produktdesign ernannt, die voll von internen Konflikten ist und auch Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit anderen Einheiten des Unternehmens hat. Sie bemerken im ersten Monat beträchtliche „Revierkämpfe“ und haben das Gefühl, dass als Folge davon die Produktivität leidet. Ein wichtiges und sofortiges Ziel ist es, die Beziehungen zwischen den Mitarbeiter*innen der Einheit sowie mit den anderen Einheiten der Organisation zu verbessern.
In dieser Situation ist ein transformationaler, charismatischer Führungsstil gefragt. Dieser Führungsstil kann in Situationen, in denen hohe Leistung erforderlich ist, oder wenn eine Krise droht, nützlich sein. Eine Führungskraft wird einen transformationalen Stil verwenden, wenn eine größere Aufmerksamkeit für ein Projekt erreicht werden soll oder wenn ein langfristiges Engagement erforderlich ist. Mitarbeiter*innen können allerdings ihre Motivation verlieren, wenn die Führungskraft nicht präsent ist. Ebenso kann ein charismatischer Führungsstil zu falschen oder unethischen Zielen führen. [13]
Die Führungskräfte entscheiden sich, am kommenden Montagmorgen die Einheit zusammenzurufen, um vor ihr eine Rede zu halten und ihr eine „Mission“ zu geben. In dieser Rede werden Sie Teamarbeit betonen: interne und externe Zusammenarbeit mit den anderen Einheiten, mit denen die Produktdesign-Einheit zusammenarbeitet. Sie betonen, wie viel mehr Spaß es macht, in einer Umgebung zu arbeiten, wo es einen starken Team-Zusammenhalt gibt. Sie werden die Sitzung auf einem Stuhl stehend beginnen und bewusst mehr Hurra-Patriotismus verbreiten als üblicherweise. Dies ist der Zeitpunkt, wo ein wenig übertrieben werden muss, um zu sehen, ob sie eine Reaktion erzielen können. Natürlich müssen sie diese Vorgehensweise in ähnlicher Art wiederholen, um sicherzustellen, dass Teamwork bedeutend bleibt.“ [14]
Neuere Forschungen zeigen bei transformationaler Führung ethische Risiken auf. Dabei wird bei einer perspektivischen Betrachtung zwischen den inneren Stakeholdern (Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen …) und den äußeren Stakeholdern (Kunden, Kommunen …) unterschieden. Während gegenüber den internen Stakeholdern die transformationale Führung ethisch zu bewerten ist, weil sie mitarbeiter*innen- und unternehmensorientierte Prinzipien verfolgt, die das Wohlergehen der Mitarbeiter*innen fördern und auch die Bereitschaft der Mitarbeiter*innen erhöhen, auf persönliche Interessen zugunsten kollektiver und organisationaler Interessen zu verzichten, konnte gezeigt werden, dass der psychologische Mechanismus, der selbstloses pro‑organisationales Verhalten fördert, nämlich die Forcierung organisationaler Identifikation, zugleich die Bereitschaft der Mitarbeiter*innen erhöht, unethisches pro‑organisationales Verhalten zu zeigen. [15]
Transformationale Führung beschreibt ein sinnstiftendes Verhalten, das die Mitarbeiter zu zusätzlichen Anstrengungen und erhöhter Leistung führt. Ferner symbolisiert Führungsverhalten die Werte und Überzeugungen des Unternehmens. Wenn diese Tatsache gezielt bei der Führung von Mitarbeiter*innen beachtet wird, liegt symbolische Führung vor. Ethisch betrachtet lassen sich eine helle und eine dunkle Seite der Führung unterscheiden. Die „helle Seite“ thematisiert eher moralische Wunschvorstellungen des Führungsverhaltens. „Dunkles“, im Sinne von feindseligem Führungsverhalten, löst kontraproduktives Verhalten der Mitarbeiter aus und beeinträchtigt deren Wohlbefinden nachhaltig. [16]
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Ermächtigende Führung
„Ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilung hat vergangenen Juli zwei neue Mitarbeiter*innen eingestellt. Sie haben festgestellt, dass beide sowohl die elementaren Fertigkeiten beherrschen als auch über ein hohes Maß an Eigeninitiative und Motivation verfügen. Sie glauben, dass beide Mitarbeiter*innen die Fähigkeit haben, mehr Verantwortung zu übernehmen, um selbständiger und ohne direkte Weisungen arbeiten zu können. Um ihre Kreativität und Flexibilität weiterzuentwickeln, verwenden Sie ermächtigende Führung (Empowerment). Mit dieser Art von Führung können sie langfristig hohe Leistungen, starkes Selbstbewusstsein der Mitarbeiter*innen, hervorragende Entfaltung der Mitarbeiter*innen und zahlreiche Innovationen erwarten. Einmal eingerichtet, funktioniert diese Art der Führung auch bei Abwesenheit der Führungskraft gut.
Ermächtigende Führung (Empowering Leadership) kann anfänglich zu einiger Verwirrung oder Frustration führen. Daher ist Empowering Leadership mit unerfahrenen Mitarbeiter*innen nur in überschaubaren Situationen einzusetzen. Mit fortschreitender Erfahrung der Mitarbeiter*innen können sie ermächtigende Führung in immer schwierigeren Situationen anwenden. Ebenso muss der organisatorische Kontext berücksichtigt werden, da ermächtigende Führung im Widerspruch zur allgemeinen Unternehmenskultur stehen kann.
Mit diesen Erfahrungswerten im Hinterkopf terminisieren sie mit jedem einzelnen Mitarbeiter bzw. mit jeder einzelnen Mitarbeiterin Treffen unter ‚vier Augen‘. Damit können sie ein Programm mit erweiterten Aufgaben, größerer Verantwortung und mehr Selbstbestimmung für die nächsten 6 Monate mit ihnen planen. Vor allem ist es nun Zeit, sich selbst ein wenig zurückzunehmen und den Mitarbeiter*innen deutlich mehr Möglichkeiten zu geben, um eigene Projekte durchführen zu lernen und mehr Erfahrung gewinnen zu können.“ [17]
Diese fünf unterschiedlichen Führungsstile können auch den einzelnen Phasen des Unternehmenslebenszyklus zugeordnet werden:
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direktive Führung in der Gründungsphase und in der Phase des Turnaround-Managements
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transaktionale Führung in der frühen Wachstumsphase
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transformationale Führung in der späten Wachstumsphase und Reifephase (Blütezeit)
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ermächtigende Führung in der frühen Wendephase, die in eine neue Innovationsphase führt
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aversive Führung in schwierigen Situationen
[1] Unter Führungsstil versteht man, „die typische Art und Weise des Verhaltens von Vorgesetzten gegenüber einzelnen Untergebenen und Gruppen.“ aus http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/fuehrungsstil.html. Abgerufen am: 16.06.2021
[2] Duden: Aversion - Abneigung, Widerwille. https://www.duden.de/rechtschreibung/Aversion. Abgerufen am: 27.09.2021
Die Aversionstherapie verfolgt einen Konditionierungsansatz, um schädliches Verhalten mit einem unangenehmen Reiz zu „bestrafen“ und ist daher aus ethischen Gründen umstritten.
[3] Ball et al.,1994; Pearce et al., 2003; Podsakoff et al., 2006
[4] vgl. Sims et al., 2009, S. 149-158, Übers. d. Verf.
[5] http://www.wirtschaftspsychologie-aktuell.de/files/Fuehren_mit_Zielen.pdf S 318. (24.07.2012)
[6] zahlreiche Belege dafür in der von Isaacson 2011 verfassten Biografie über Steve Jobs
[7] Isaacson, 2011, S. 151
[8] Isaacson, 2011, S. 191
[9] Judge et al., 2004, Pearce et al., 2003
[10] vgl Sims et al., 2009, S. 149-158, Übers. d. Verf.
[11] Avolio et al 1999, Bass & Avolio 1994, Podsakoff et al 2006
[12] vgl. Sims, 2009, S. 149-158
[13] Bass et al., 2003
[14] vgl. Sims et al., 2009, S. 149-158, Übers. d. Verf.
[15] Effelsberg & Solga, 2015, S. 339
[16] Nerdinger 2014, S. 102
[17] vgl. Sims et al., 2009, S. 149-158, Übers. d. Verf.