
1.14. LMX – Leader Member Exchange [1]
Bei diesem Ansatz wird die Qualität der Beziehung zwischen der Führungskraft und ihren Mitarbeiter*innen untersucht. Dabei geht man von einer Dyade aus, wenn nur eine Beziehung der Führungskraft mit einem*r Mitarbeiter*in untersucht wird. Die Beziehung von einer Führungskraft zu zwei Mitarbeiter*innen wird Triade bezeichnet. Mehrere Dyaden ergeben sich bei einem ganzen Team von Mitarbeiter*innen. Dabei sind die Beziehungen der Führungskraft zu den verschiedenen Mitarbeiter*innen von unterschiedlicher Qualität, wenn nicht alle Mitarbeiter*innen gleichbehandelt werden, was grundsätzlich schwierig ist. Diese Beziehungen können in ihrer Qualität positiv oder negativ sein und haben jeweils eine unterschiedliche Intensität.
In der neueren Forschung stehen nicht nur die Dyaden zwischen Führungskräften und Mitarbeiter*innen im Fokus, sondern auch die Beziehungen innerhalb der Gruppen. Es wird als nicht nur die eigene Beziehung zur Führungskraft reflektiert, sondern auch die Beziehungen der Führungskraft zu anderen Geführten in der Gruppe beobachtet. Metaanalysen haben gezeigt, dass eine gute Austauschbeziehung zu höherer Arbeitszufriedenheit und Leistung führt.
Eine gute LMX-Beziehung zeichnet sich durch
-
Vertrauen,
-
Respekt,
-
Loyalität,
-
Zuneigung,
-
Intimität,
-
Unterstützung,
-
Offenheit und
-
Ehrlichkeit
aus. [2]
Eine Erweiterung erfährt der LMX-Ansatz in der sozialen Austauschtheorie (Social Exchange Theory), die zeigt, dass Personen darauf vertrauen, dass die Beziehung zu ihrer Führungskraft ausgeglichen ist. Das heißt, dass sich die Beziehung für sie auf lange Sicht lohnt und sie für ihren Einsatz etwas zurückbekommen. Ist das Austauschverhältnis schlecht, wird dies nicht lange hingenommen. Das heißt, der Vertrauensvorschuss ist begrenzt.
Beim ökonomischen Austausch wird auf direkte Transaktionen und Vertragsbedingungen gesetzt, die kurzfristig erfolgen. Die Mitarbeiter*innen erwarten eine rasche, direkte Belohnung für ihren Einsatz.
In der Bewertung dieser Austauschbeziehungen konnte ebenfalls in Metaanalysen nachgewiesen werden, dass die Qualität der Beziehungen interessanterweise von beiden Seiten unterschiedlich beurteilt wird. Mitarbeiter*innen beurteilen die Beziehungen anders als die Führungskräfte, obwohl es sich um das gleiche Austauschverhältnis handelt.
Diese Diskrepanz wird in der Literatur mit folgenden Argumenten begründet:
-
Führungskräfte könnten die Beziehungen zu ihren Mitarbeiter*innen aufgrund von sozialer Erwünschtheit nicht so darstellen wollen, wie sie sind, nämlich so, dass sie diese unterschiedlich behandeln.
-
Die Beziehungen werden unterschiedlich bewertet. Gruppenmitglieder sehen Einstellungen und Wohlbefinden im Mittelpunkt („Die Beziehung ist gut, wenn wir freundlich miteinander umgehen“) und Führungskräfte die Gruppenleistung („Die Beziehung ist gut, wenn die Leistung stimmt.“).
Eine hohe Beziehungsqualität auf der Ebene der Führungskraft und der Mitarbeiter*innen ergibt jedenfalls ein hohes Commitment und eine hohe Leistung.
Die unterschiedlichen Beziehungsqualitäten werden bei Führungskräften damit begründet, dass sie Zeit und Energie aufwenden müssen, um eine gute Beziehung aufbauen und aufrechterhalten zu können, und Zeit ist im Arbeitskontext meist knapp. Das bedeutet, dass die Ressourcen der Führungskraft und die Führungsspanne, das heißt, wie viele Mitarbeiter*innen sie zu führen hat, darüber entscheiden, wie viele gute Beziehungen sie aufbauen kann.
Dabei können aber hohe Ausprägungen bei den Persönlichkeitseigenschaften Extraversion und Verträglichkeit auch zu einer höheren Anzahl guter Beziehungen führen.
Abbildung 8 a) und b) zeigen, wie wichtig die Gruppenhomogenität ist. Nach Heiders Balancetheorie ist die Übereinstimmung der Gruppenmitglieder (MA1 und MA2) bedeutender als der Inhalt, hinsichtlich dessen Übereinstimmung besteht. „Das heißt, dass auch eine Übereinstimmung darüber, dass alle Gruppenmitglieder schlechte Beziehungen zur Führungskraft haben, zu positiven Ergebnissen führen kann.“ [3] (Beispiel b)
Als negative Beziehung (c) zwischen MA1 und MA2 wirkt nur jene, in der die Gruppenmitglieder positive und negative Beziehungen zur Führungskraft haben.
Zusätzlich konnte festgestellt werden, dass Führungskräfte zwei unterschiedliche Beziehungsformen pflegen. Der innere Kreis (in-group) und der äußere Kreis (out-group) von Personen, mit denen sie unterschiedlich tiefgehende Beziehungen unterhalten. Dem inneren bzw. dem engeren Kreis gehören besonders vertrauenswürdige Mitarbeiter*innen an, die ein hohes Maß an Verantwortung, einen großen Entscheidungseinfluss und Zugang zu Ressourcen übertragen bekommen. Sie müssen dafür aber härter arbeiten, mehr Engagement beim Erreichen der Ziele zeigen und mehr administrative Aufgaben übernehmen. Außerdem wird von der Führungskraft erwartet, dass sie absolut loyal ist. Für den äußeren Kreis treffen diese Austauschverhältnisse nicht zu. Sie bleiben auf der vertraglich normierten Ebene.
Interessant ist nun, wie der innere Kreis als Gruppe reagiert, wenn die Führungskraft eine neue Person in diesen Kreis bringt.
Tuckman hat bereits 1965 nachweisen können, dass bei jeder Veränderung der Mitgliederanzahl in Teams vier Phasen durchlaufen werden, die man nicht überspringen kann:
-
Forming,
-
Storming,
-
Norming und
-
Performing
10 Jahre später fügte er eine fünfte Phase „Adjourning“ hinzu.
Abbildung 9 zeigt, wie sich Energie und Produktivität in den fünf Phasen verhalten, und diese werden von Carol Wilson (2017) wie folgt beschrieben:
1. Forming
Die Teammitglieder fokussieren auf die Führungskraft mit ihrer Autorität und pflegen untereinander eine höfliche, aber distanzierte Beziehung. Die Führungskraft muss in dieser Phase alle Informationen zur Verfügung stellen und offen für alle Fragen sein. Die Grenzen, Stärken und Schwächen aller Mitglieder werden getestet, auch die der Führungskraft. An alten Gewohnheiten wird festgehalten, wenn sie in positiver Erinnerung geblieben sind. Wenn die alten Gewohnheiten Narben hinterlassen haben, wird mit Misstrauen und Apathie darauf reagiert.
Hinweis zur Intervention:
Die Zeit, die die Führungskraft und die Teammitglieder investieren, um den anderen zuzuhören und sich in sie einzufühlen, zahlt sich im weiteren Verlauf der Teambildung erheblich aus. Erwartungen und Stellenbeschreibungen sollten klar formuliert sein und die Führungskraft sollte ein Vorbild dafür sein, wie sich das Team verhalten soll.
2. Storming
Dies ist die schwierigste Zeit für alle. Die Teammitglieder interessieren sich mehr für den Eindruck, den sie hinterlassen, als für ihre Projekte. Vor allem wollen sie von der Führungskraft respektiert werden und versuchen, ihr ihren Wert für das Team zu beweisen. Dabei kämpfen sie mit den Gefühlen der Unzulänglichkeit und fragen sich, wer sie innerhalb der Gruppe unterstützt und wer nicht. E‑Mails sollte man in dieser Zeit nicht sofort abschicken. Man sollte sie vorerst in die Entwurfsbox geben und die Angelegenheit abkühlen lassen. Am nächsten Morgen sollte man wieder versuchen, die Mail so sachlich wie möglich zu formulieren. Es besteht die Gefahr, dass sich Fraktionen bilden und Mitglieder isoliert werden. Besonders in virtuellen Teams, die an voneinander entfernten Orten arbeiten, ist diese Gefahr erheblich.
Hinweis zur Intervention:
Jedes Mitglied sollte sich darauf konzentrieren, den anderen so viel aufrichtiges positives Feedback wie möglich zu geben. Außerdem sollten die Mitglieder auf stabile Beziehungen hinarbeiten, in denen Vorschläge als Beiträge und nicht als Kritik angesehen werden. Lassen Sie die kleinen Dinge los. Ermutigen Sie die Menschen, die Dinge auf ihre Weise zu tun, wo immer es möglich ist.
3. Norming
Wenn das Team die Norming-Phase erreicht hat, ist alles im Trockenen. Die Normen innerhalb des Systems gelten als ungeschriebenes Gesetz. Es beginnt für alle eine aufregende Zeit, in der bedeutsame Entscheidungen getroffen und umgesetzt, neue Ideen Wirklichkeit werden, Risiken eingegangen und Misserfolge nur als weiterer Schritt auf dem Weg zum Erfolg gesehen werden. Rollen und Beziehungen sind jetzt etabliert, sodass sich die Mitarbeiter darauf konzentrieren können, die Talente einzusetzen, die sie überhaupt ins Team gebracht haben.
Hinweis zur Intervention:
Führungskräfte sollten einen Coaching-Stil verwenden und das Team nach seinen Lösungen fragen, bevor sie die eigenen nennen. Ein Team in der Norming-Phase wird viel an Erfahrung und Ideen zu bieten haben, die, wenn darauf zugegriffen wird, Führungskräften Zeit und Energie sparen können und den Blick auf den Horizont freigeben. Dies kann beispielsweise durch die Erweiterung des Spielraums durch strategische Partnerschaften und die Planung der Nachfolge erfolgen.
4. Performing
Das Team ist jetzt ein starker Motor, der wie ein Uhrwerk läuft. Viele gesunde Konflikte, die das Beziehungsgefüge nicht beschädigen, werden mit Spaß und Humor geführt. Erfolge scheinen sich fast von selbst zu ergeben. Die Führungskraft und die Teammitglieder haben gelernt, ihr Bestes zu geben und dann aus dem Weg zu gehen.
Hinweis zur Intervention:
Die Führungskraft und die Teammitglieder sollten die Beiträge der anderen anerkennen und sicherstellen, dass sie einen Bonus erhalten, wenn dies angemessen erscheint. Dies gilt für Teammitglieder, die den Leader validieren, genauso wie umgekehrt. Wenn jemand das Gefühl hat, dass sein Beitrag nicht anerkannt wird, kann dieses Ressentiment auf das nächste Projekt übertragen werden.
5. Adjourning
In der Adjourning-Phase geht es darum, dem Team ein Abschlussgefühl zu vermitteln. Wenn das Team die ersten vier Phasen erfolgreich durchlaufen hat, kann es zwischen den Mitgliedern zu einer engeren Bindung gekommen sein, die bei der Auflösung des Projekts bzw. des Teams mit dem Gefühl des Verlustes einhergeht.
Die Teammitglieder werden an den Anfang zurückblicken, feststellen, wie weit sie gekommen sind, und ihren Beitrag zum Ganzen messen. Die Art und Weise, wie dies gehandhabt wird, kann einen starken Einfluss auf die nächsten Teams haben, denen die Mitglieder angehören. Wenn eine Organisation ständig neue Teams bildet, indem sich die Mitarbeiter*innen in internationalen Führungskreisen bewegen oder neue Initiativen entwickelt werden, entsteht ein kollektives kulturelles Gedächtnis. Dieses beeinflusst bestehende Teamplayer und wird von Neulingen in der Organisation wie durch Osmose absorbiert.
Hinweis zur Intervention:
Die Adjourning-Phase ist eine Zeit des Dankes, der Anerkennung individueller Leistungen und der Reflexion darüber, wie weit das Team gekommen ist. Sie zeigt die Wendepunkte auf dem Weg und was seine*ihre Mitglieder aus dem Team in die Zukunft mitnehmen können. Stellen Sie sicher, dass sich alle Stakeholder außerhalb des Teams der kollektiven und individuellen Leistungen bewusst sind. [4]
Eine strategisch denkende Führungskraft wird das Wissen über die Beziehungen innerhalb der Teams also nutzen, um Hochleistungsteams zu entwickeln. [5]
Die fünf Phasen können aus Sicht des Autors auch mit dem Unternehmenslebenszyklus und den jeweiligen Führungs-Archetypen in Einklang gebracht werden.
1.14.1. Interaktionstheorie
Bei der LMX‑Theorie geht es darum, die Dyaden und Triaden zu untersuchen, während bei der Interaktionstheorie diese Aspekte um die Situationen ergänzt werden, in denen diese Beziehungen ablaufen. Bei der Interaktionstheorie wird Führung als interaktiver Prozess betrachtet, der durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren bestimmt wird. Die Führungspsychologie beschäftigt sich mit den Teilaspekten der Führung auf den verschiedenen Ebenen des menschlichen Zusammenarbeitens. Lukascyk nennt folgende vier Variablen, die miteinander in Beziehung stehen und als Wegbereiter der führungsbezogenen Interaktionstheorie gelten: [6]
-
Die Persönlichkeitsstruktur der Führungskraft einschließlich ihrer angeborenen Begabungen und Fähigkeiten wie auch ihrer individuellen Erfahrungen
-
Die Persönlichkeiten der Geführten einschließlich deren individueller Einstellungen, Erwartungen und Bedürfnisse in Bezug auf den Führenden als auch auf die Situation
-
Die Gruppe als Ganzes als ein differenziertes und integriertes System von Status-Rollen-Beziehungen und von gemeinsamen Gruppennormen
-
Die Situation, in der sich Führungskraft und Gruppe befinden. Hierzu gehören die Art und Weise der zu bewältigenden Aufgabe, das Gruppenziel und sonstige äußere Bedingungen.
Werden diese Elemente durch Führungsziele, Führungsinstrumente bzw. den gemeinsam zu erzielenden Erfolg ergänzt und systemtheoretisch in einen Regelkreis eingebracht, dann entsteht der personenorientierte Führungsprozess (Abbildung 10).
„Eine wichtige Fähigkeit des Führenden besteht darin, die wesentlichen Einflüsse sowie die Wirkung seines Verhaltens zu erkennen und bei seinen Entscheidungen zu berücksichtigen.“ [8]
Die Teams, bestehend aus Führungskraft und Mitarbeiter*innen, werden vor allem durch die jeweilige Phase im Unternehmenslebenszyklus beeinflusst. Demgemäß sind dies die Pionier-, dieWachstums-, die Reife- oder die Wendephase, in der die wechselseitige Beeinflussung stattfindet.
1.14.2 Situationsähnlichkeit und Persönlichkeit sagen Verhaltenskonsistenz voraus
„Von Sherman et al wurde eine neue Methode zur Bewertung von Situationen eingesetzt, um den Zusammenhang zwischen der Ähnlichkeit von Situationen, der Persönlichkeit und der Konsistenz im Verhalten in repräsentativen Kontexten zu untersuchen.
Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass die Verhaltens-Konsistenz im täglichen Leben, in dem ‚das Selbst‘ gemessen wird, stark und positiv mit ähnlichen Situationen korreliert. Diese Resultate kommen auch unter Beachtung der Ergebnisse von Furr und Funder (2004) und früherer Forschungsergebnisse plausibel zu dem Schluss, dass ähnliche Situationen einen kausalen Zusammenhang mit Verhaltens-Konsistenz haben. Allerdings werden darüber hinausgehende individuelle Unterschiede in der Verhaltens-Konsistenz, die grundsätzlich durch die situative Ähnlichkeit erklärt wird, durch die Persönlichkeit vorherbestimmt. So ist das Ausmaß, in dem ein Individuum die gleichen Verhaltensweisen zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, die einige wenige Tage auseinanderliegen, zeigt, vor allem von zwei Dingen bestimmt: von der Ähnlichkeit zwischen den beiden Situationen und von der Persönlichkeit des Einzelnen.“ [9]
Die Ergebnisse zeigen, dass die Trennung der situativen Verhaltenstheorien und der situativen Eigenschaftstheorien vielleicht zur Betrachtung der einzelnen Phänomene hilfreich ist, jedoch den Gesamtzusammenhang vernachlässigt, in dem Persönlichkeitsmerkmale, Verhalten und Situationen zusammenspielen.
Kurz zusammengefasst heißt das: Das Verhalten hängt vor allem von der jeweiligen Situation ab und ist von den Persönlichkeitsmerkmalen prädeterminiert.
Ebenso kann angenommen werden, dass das Entscheidungsverhalten von Führungskräften in vergleichbaren Situationen ähnlich ist und die jeweilige Entscheidungspräferenz das Verhalten vorherbestimmt. Das bedeutet dann aber auch, dass die jeweilige Phase, in der sich das Unternehmen befindet, „als Situation“ das Verhalten der Führungskräfte beeinflusst.
[1] vgl. Schyns & Knoll, 2015, S. 55-65
[2] Graen & Scandura, 1987
[3] Schyns & Knoll, 2015, S. 60
[4] vgl. Wilson, 2017, S. 2-6
[5] vgl. Putko, 2006, S. 2ff.
[6] in Greve, 2010, S. 93
[7] Birker, 1997
[8] ebd.
[9] vgl Sherman et al., 2010, S. 2, S. 35


